Ex 21,1
Oliver Achilles
וְאֵלֶּה הַמִּשְׁפָּטִים אֲשֶׁר תָּשִׂים לִפְנֵיהֶֽם׃
¹ Und dies sind die Rechtsbestimmungen (hebr. mischpatim), die du ihnen vorstellen sollst.
Und dies
Mekhilta de-Rabbi Jishma'el: Rabbi Jishma'el sagt: Diese ergänzen die vorausgehenden. Wie die vorausgehenden vom Sinai stammen, so stammen auch die folgenden vom Sinai.
Traktat Neziqin; Ü: Günter Stemberger (2010) S. 303
Christoph Dohmen: Ex 21, 1 stellt einen Neuanfang dar, der allerdings auch an das Vorausgehende anschließt, denn der Vers verbleibt eindeutig in der Sprechsituation von Ex 20, 22 (JHWH - Mose) und führt den Redeauftrag an die Israeliten weiter, was am Rückbezug des Personalpronomens (»ihnen«) am Satzende und der Syndese (»und«) am Satzanfang abzulesen ist.
Exodus 19-40 (2004) HThKAT S. 158
die Rechtsbestimmungen
Origenes: Denn nicht alle [Bestimmungen], die angeordnet werden, heißen Gesetz, wie die schlichteren Gemüter meinen, sondern einige werden eben Gesetz, einige Zeugnisse, andere Gebote und Rechte, einige Urteile genannt. Das lehrt uns gründlich in einem zusammengefasst der Psalm achtzehn, wenn er sagt: „Das Gesetz des Herrn [ist] tadellos, es bekehrt die Seelen; das Zeugnis des Herrn [ist] zuverlässig, es gewährt den Kleinen Weisheit; die Rechte des Herrn sind gerecht, sie erfreuen die Herzen; die Vorschrift des Herrn [ist] klar verständlich, sie erleuchtet die Augen. Die Fucht des Herrn [ist] rein, sie besteht in Ewigkeit; die Urteile des Herrn [sind] wahr, gerechtfertigt in sich selbst.“ (Ps 18 (19), 8-9) Weil also diese, die im Gesetz vorgeschrieben sind, deren Unterschiede besitzen, wurde jetzt das Wort, das zu Handen ist, unter der Überschrift der Rechte oder der Rechtssatzungen geschrieben. Denn so heißt es weiter oben: „Und dies [sind] die Rechte, die du in ihrer Gegenwart vorlegen wirst.“ (Ex 21,1)
In Exodum Homilia X,1; GCS XXIX (1920) S. 245
Ambrosius: Für Ambrosius sind die Mischpatim ohne eine Erklärung Gottes durch Christus unverständlich. So schreibt er: „Im vierten Vers sagt er: Gepriesen bist Du, Herr, lehre mich deine Rechtssatzungen (Ps 118,12). Denn nicht jeder der „Herr, Herr“ sagt, wird selbst in das Königreich der Himmel hineinkommen
(Mt 7,21), sondern wer den Willen Gottes tut. Daher hat der, der seinen Weg von seiner Jugend an verbessert, die Worte Gottes bewahrt, den Herrn, seinen Gott von ganzem Herzen sucht, sich von den Geboten Gottes und einem würdigen Wandel nicht fernhält, dem die Geheimnisse der Weisheit anvertraut wurden, die er in seinem Herzen verbirgt, damit er nicht gegen Gott sündige, gleichsam die Ausdrucksweise Gottes, wenn er dankend sagt: Gepriesen bist du, Herr
und er wünscht selbst zum Lehrer zu haben, indem er verlangt, die Geheimnisse des Gesetzes zu erkennen und auf welche Weise es ausgelegt werden soll: Wenn du einen hebräischen Sklaven kaufst und er hat dir sechs Jahre gedient
(Ex 21,2) usw., dem vorangestellt wird: Dies sind die Rechtssätze, die du den Kindern Israels vorlegen sollst
(Ex 21,1). Dies erbittet er vom Herrn zu lernen, was Menschen nicht lehren konnten, wenn es Gott nicht zuvor gelehrt hätte. Dies lernten danach die Apostel von Christus. Die Kirche spricht: Der König führte mich in seine Kammer
(Hld 1,4), das bedeutet, in dieses sein Geheimnis, in dem sich die Schätze der Wissenschaft und seiner Erkenntnis befinden. Daher wird dir gesagt: Wenn du betest, dann geh in deine Kammer
(Mt 6,6), was das Geheimnis des Geistes und der Seele bezeichnet. In diese Kammer der Gerechtigkeit verlangt es die Braut geführt zu werden, wenn sie nach dem Duft des Salböls hinausläuft, das immer fließt und nie versiegt.“
Erklärung von Psalm 118 2,29; GCS LXII (1913) S. 37-38
Hermann Gunkel: Neben diesen religiösen „Gesetzen“ gibt es im alten Israel auch Rechtssatzungen
profaner Art, die Mišpatim. Recht gesprochen wird in Israel nicht nur vom Priester, sondern zugleich von den „Ältesten“ der Geschlechter und Stämme, der Dörfer und Städte, sowie vom König und seinen Beamten. Eine Sammlung alter Rechtssprüche ist uns im Kern des sogenannten „Bundesbuches“ (Ex. 21—22, 16) überliefert. Priestertora sind diese Sprüche nicht, denn in ihnen redet nicht die Gottheit; nur als Ausnahme hören wir hier, daß eine Sache vor die Gottheit, d. h. das Gericht des Priesters gehöre (22, 8), und nicht vom Kultus ist hier die Rede, sondern vom Recht. Auch der Stil dieser Sprüche ist ein anderer als der der Dekaloge: diese haben die Form des kategorischen Befehls: „du sollst“, für den Mišpat aber ist der bedingte Satz charakteristisch: „wenn ein bestimmter Fall eintritt, so soll dies und das geschehen“; das ist die Form, die die Rechtssprüche auch in dem Gesetzbuche des Hammurabi haben, ja die ihnen auch jetzt noch zu eigen ist. Wir haben in diesen Sprüchen also Volksrecht
, und zwar, wie überall in solchen Fällen, kodifizierte mündliche Rechtstradition. Der Stil der Sprüche wird durch das Bestreben bestimmt, möglichst deutlich und kurz zu sein. In der mündlichen Tradition ist je ein Spruch auf einmal zitiert worden. Beim Aufschreiben hat man dann, in lockerer Anordnung, verwandte Sprüche zusammengestellt. Das ganze Buch ist so geordnet, daß zuerst vom Schutz des Lebens, dann von dem des Eigentums geredet wird. Später sind dann noch „Novellen“ hinzugekommen.
Am Schluß der Periode hat man begonnen, Kultus und Rechtssatzungen zu einem Corpus zusammenzustellen; so ist das sogenannte „Bundesbuch“ (Ex. 21—23,19) zusammengeschrieben worden.
Die israelitische Literatur (1963) S. 25-26
Brevard S. Childs: Es findet allgemeine Zustimmung, dass die mishpatim eine der frühesten Sammlungen von Gesetzesmaterial in der Bibel darstellen. Die bemerkenswerten Parallelen zu den anderen antiken nah-östlichen Gesetzessammlungen haben längst alle Zweifel bezüglich ihres Alters beseitigt.
The Book of Exodus (1974) S. 457
Die du ihnen vorstellen sollst
Frank Crüsemann: In all diesen Fällen1 wird nämlich nicht, wie in anderen eher apodiktischen Teilen des Bundesbuches, der jeweils vom Rechtsfall Betroffene angeredet, sondern die rechtsprechende Instanz.
Frank Crüsemann: Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes. Gütersloher Verlagshaus, (2005, 3. Auflage, 1. Auflage der Sonderausgabe), S. 172
Crüsemann verweist auf Ex 21,1.13.23, wo die Anrede in der 2. Person Singular erfolgt.